Seit mehr als zwei Monaten brennen Hunderte riesige Feuer in Australien – gleichzeitig. Sie lodern nicht irgendwo im Outback, nicht wie es immer im Sommer hier und da mal brennt. Die Flammen wüten an den Küsten, dort, wo 85 Prozent der Australierinnen und Australier leben, in Städten und Dörfern, zerstören Farmland und Wälder.

Zu den wenigen Menschen, die diese Dramatik nicht weiter zu irritieren scheint, gehört der australische Regierungschef. "Wir hatten immer schon Waldbrände in Australien", sagte Premierminister Scott Morrison noch in seiner Neujahrsansprache und pries den Gemeinschaftsgeist seiner Landsleute. "Wir haben derlei Katastrophen schon früher überstanden!" Gerade diese Widerstandskraft sei es doch, die den Geist der Australier ausmache, den Aussie spirit gelte es zu feiern.

Seinen Landsleuten aber ist gerade wenig zum Feiern zumute. Fünf Millionen Hektar Fläche sind seit November verbrannt. Es stehen Regenwälder in Flammen, die normalerweise nie brennen. 17 Menschen sind gestorben, etliche werden vermisst. Die Großstädte Sydney und Canberra sind seit Wochen in dicke Rauchwolken gehüllt. Zwei Bundesstaaten haben zum Wochenende erneut den Notstand ausgerufen. Zigtausende Anwohnerinnen und Urlauber fliehen aus Ferienregionen an der Südostküste. Tausende von Quadratkilometern sind zur Sperrzone erklärt worden. Die Katastrophe ist längst nicht überstanden, sie wird schlimmer.

Brände in Australien

Hier hat es zwischen dem 1. November 2019 und dem 2. Januar 2020 gebrannt.

Anders als der Premierminister zweifelt David Bowman, Direktor des Fire Centre an der Universität Tasmanien, an der Normalität des Geschehens. Das Auffälligste an dieser Brandsaison ist für den Wissenschaftler die kontinentale Art der Bedrohung. "Die geografische Reichweite und die Tatsache, dass die Feuersaison überall zugleich stattfindet, ist, was sie beispiellos macht", sagte Bowman dem australischen Guardian. "Es gab noch nie eine Situation, in der Feuer vom Süden Queenslands, in ganz New South Wales, in Gippsland, in den Adelaide Hills, in der Nähe von Perth bis an die Ostküste Tasmaniens ausgebrochen ist", sagte Bowman.

"Keinen Löschschlauch halten"

In extremen Zeiten spielen Regierungschefs eine besondere Rolle. Sie müssen "keinen Löschschlauch halten", wie Morrison kürzlich scherzte. Aber sie können Führungsfiguren sein, sie können Menschlichkeit zeigen, wie es die neuseeländische Nachbarin Jacinda Ardern nach dem Anschlag in Christchurch tat. Sie können Signale setzen und angesichts schwieriger Wahrheiten ein Umdenken anregen. Australiens Regierungschef zeigt in diesen Wochen nichts dergleichen. Er wirkt mal unbeteiligt, mal optimistisch. Oder er ist abwesend.

Seine erste Wahl im Mai 2019 gewann Morrison für die Liberal Party auch zu seiner eigenen Überraschung. "Ein Wunder" nannte der gläubige Pfingstkirchler, der gerne Gospel singt, das Ergebnis. Als zum Jahresende die ersten Menschen in den Feuern starben, sendete er "Gedanken und Gebete". Viele Australier wünschten sich eher Taten. Mehr finanzielle Unterstützung für die Freiwilligen Wehren, ein Umdenken in der Klimapolitik. Kurz vor Weihnachten dann, als das bevölkerungsreichste Bundesland New South Wales zum ersten Mal den Notstand ausgerufen hatte, flog Morrison mit Frau und Töchtern nach Hawaii in den Urlaub. 

So richtig überzeugt, dass Ferien zu dem Zeitpunkt eine gute Idee waren, schien er offenbar selbst nicht zu sein. Sein Büro gab keine Auskunft über den Aufenthaltsort des Regierungschefs. #WhereTheBloodyHellAreYou trendete tagelang auf Twitter, "Wo zum Teufel bist du?". Das war auch der Slogan der Werbekampagne, die Morrison seinerzeit als Chef der Tourismusbehörde verantwortet hatte. Jetzt kam sein Motto wie ein Bumerang zurück.

Aber auch seit Morrison die Ferien abgebrochen hat, nachdem zwei Feuerwehrleute gestorben waren, ist der Staatschef weitgehend unsichtbar. Tritt ScoMo, wie ihn die Australier häufig nennen, doch einmal öffentlich auf, wiegelt er ab, verharmlost und versucht vor allem eines zu vermeiden: zuzugeben, dass die Feuer extreme Dimensionen haben, dass sie – wie australische Feuerwehrchefs nicht müde werden zu wiederholen – beispiellos sind in ihrem Ausmaß und ihrer Intensität.